Der Besuch der Alten Dame
Kammerballett von Anna Vita
Musik: Karl Amadeus Hartmann, Dimitri Schostakowitsch, Eric Idle Premiere: 13.12. 2012 Kammerspiele Mainfranke Theater Würzburg Bühne, Video: Sandra Dehler Kostüme: Kristopher Kempf Licht: Anna Vita, Walter Wiedmeier Dauer: 70 min
Friedrich Dürrenmatts 1956 uraufgeführte Tragische Komödie Der Besuch der alten Dame gehört zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Stücken der Nachkriegszeit. Diese Karriere fiel in die Zeit des Wirtschaftswunders, als die allgemeine Prosperität zunahm und das Geld dazu benutzt wurde, durch die Befriedigung materieller Bedürfnisse die Wunden und Narben des Krieges erfolgreich zu verdrängen. Genau an diesem Punkt legt Dürrenmatts Der Besuch der alten Dame den Finger in die Wunde, indem der Autor nach dem Dreiecksverhältnis von Geld, Moral und Schuld fragt. Das Faszinierende an dieser Tragischen Komödie ist, dass sie aber auch heute, in Zeiten der Krise und der Knappheit finanzieller Ressourcen, genau so gesellschaftliche Missstände bloßstellt. Davon kann man sich auch in Anna Vitas Tanzversion dieses Stoffes überzeugen.
Aber ein Ballett nach Dürrenmatt? Ist die Handlung um den Besuch der reichen Rächerin nicht zu kompliziert; sind des Autors Dialoge nicht zu virtuos und witzig, als dass man hier auf das gesprochene Wort verzichten könnte? Derlei Einwände haben sicherlich ihre Berechtigung. Zwar lässt Anna Vita ihre Tänzer tatsächlich auch an einer Stelle sprechen, doch diese kurze Passage stellt nicht das Primat der tänzerischen Ausdrucksmittel in Frage. Wird diese Geschichte als Ballett erzählt, kann sich der Erkenntnisgewinn sogar erhöhen. Denn jetzt vermag man die gesellschaftlichen Wirkungsmechanismen, die Dürrenmatts Handlung bestimmen, mit einer anderen Klarheit wahrnehmen. Die Wechselspiele von Zuwendung und Ablehnung, von vermeintlicher Anteilnahme und brutaler Ausgrenzung, von individueller und kollektiver Schuld – hier, in der Beschränkung auf die Ausdrucksmittel der Körpersprache, ohne den schmeichelnden Klang von Dürrenmatts Dialogen, kann man sie am deutlichsten spüren und sezieren.
Christoph Blitt
Anna Vita hat bewiesen, dass man mit griffigen, kräftigen Bildern und präziser Körperarbeit neue Herzkammern in einem Stück entdecken kann, das längst bekannt schien.
In Würzburg ist aus dem "Besuch der alten Dame" eine alterslose Legende geworden, die im Tanz einen guten Ort gefunden hat.
Klassik.com, 22. Dezember 2012
Die Aufführung wurde ein trefflich gelungenes Experiment, mit dem Anna Vita die Grenzen des Handlungsballetts ausloten und kreativ erweitern konnte.
Fränkische Nachrichten, 18. Dezember 2012
Der Ballettdirektorin des Mainfranken Theaters Würzburg, Anna Vita, ist es gelungen, für das abgespielte Stück eine neue Sprache zu finden. Sie hat Dürrenmatts wortgewaltige Parabel über die Bestechlichkeit des Menschen in Tanz umgesetzt und gibt dem Stück damit gnadenlose Härte zurück.
Das Premierenpublikum in den ausverkauften Kammerspielen spendete der intelligenten Adaption des Stücks, den bestechenden Kostümideen (Kristopher Kempf) und der sehr guten Ensemble-Leistung begeisterten Applaus.
Main-Post, 15.Dezember 2012
Mit einer bildkräftigen, dynamischen choreografischen Umsetzung hat das Mainfranken Theater Würzburg jetzt einen modernen Klassiker Frischluft zugeführt: Friedrich Dürrenmatts archetypischem Drama vom "Besuch der alten Dame" in dem es um Rache für alten und die Ruchlosigkeit neuen Verrats geht, bekommt in Anna Vitas getanzter Version neue Unterströmungen. Während das Stück selbst in seiner Sprechtheater-Version vor allem das moralische Dilemma für die Einwohner eines Ortes behandelt, denen reich zu werden versprochen ist, wenn sie einen der ihren opfern, findet das visualisieren durch den Tanz neue emotionale Hintergründe und einen sinnlichen, physischen Unterbau: Dürrenmatts Denkarbeit handfest gemacht.
Die deutsche Bühne, Dezember 2012
Vita skizziert nicht nur die Charaktere trefflich, sondern durch leises Changieren der Dynamik auch deren Veränderung. Der dramaturgisch spannende Wechsel zwischen Gruppen, Soli und den Duos der beiden Protagonisten zeitigt einprägsame Bilder… Vita choreographiert in einer im schönsten Sinne einfachen, unmanierierten Tanzsprache neoklassischer Prägung…
tanz, Februar 2013